Andenne
Der nächste Morgen erschien grau vor dem
Fenster des Hotels als ich die Gardinen zur Seite zog, die bis zu diesem
Augenblick das Zimmer in ein rostiges Rot getaucht hatten.
OK, ich wollte mich nicht lange mit
dem trostlosen Anblick aufhalten, sondern einfach unter die Dusche steigen und
laut – sehr laut singen.
Der Mann an meiner Seite war wach – hellwach als ich aus der Dusche
zurück kam und betrachtete stumm die nebelige Wetterlage. Sollte nicht eigentlich...?
Nachdem wir ein köstliches, ausgebreitetes
Frühstück zu uns genommen, einige Butterbrote geschmiert und eingepackt hatten,
versorgte uns der Sohn der Wirtin mit ganz aktuellen Wanderkarten.
"Der Weg ist neu" so erfuhren wir, "er
läuft sehr gut ausgeschildert direkt immer am Wasser entlang bis Namur. Dort
wechselt er die Flussseite. Ist ganz einfach. Natürlich können Sie auch die
Strecke, na ja, die alte Strecke durch den Wald nehmen. Nicht schön, man sieht
nichts, aber das entscheiden Sie. In diesem Falle nehmen Sie nach ca. 900 Metern
den linken Weg, hinter dem Brunnen, in den Wald hoch. Gottes Segen und bitte
stecken Sie für unsere Familie, besonders meinen Vater, ein Kerze an."
Wir hatten ihn gestern Abend kennengelernt.
Ein kleiner alter Herr, der stark dementierte und um den sich die Familie trotz
großem Andrang im Restaurant liebevoll kümmerte. Selbst als er glaubte, uns
bedienen zu müssen, war er voller Charme und strahlte eine unglaubliche Würde
aus.
Ja, auch diese Kerze würden wir gerne anzünden wenn wir in Santiago irgendwann eintreffen werden. Ich notierte die Bestellung in meinem Wander-Tagebuch.
Wir verließen diesen angenehmen Ort,
überquerten die Straße und sahen das Zeichen des Jacobsweges direkt vor uns.Wir
folgten ihm, tauchten ein in den sich langsam lichtenden Nebel auf dem Weg an
der Maas entlang.
Nach einem kleinen Kilometer kamen wir an der Quelle d' Ahin in Saint Leonard an. Hier teilten sich die beiden Wege, wie vom Wirt beschrieben. Wir wählten den Weg der weiter dem Fluss folgte. Nicht nur, dass er wirklich landschaftlich wunderschön ist, er schonte auch unsere Kondition und ließ Raum zum Genießen.
Nach einem kleinen Kilometer kamen wir an der Quelle d' Ahin in Saint Leonard an. Hier teilten sich die beiden Wege, wie vom Wirt beschrieben. Wir wählten den Weg der weiter dem Fluss folgte. Nicht nur, dass er wirklich landschaftlich wunderschön ist, er schonte auch unsere Kondition und ließ Raum zum Genießen.
Wir trotteten langsam und gemächlich durch Miniorte, die oft nicht bis zum Ufer herunter reichen. Meine Kamera brauchte ich
erst Mal für mein Kunstprojekt nicht, es gab in dieser romantischen Flusseinsamkeit auf den nächsten
Kilometern kein Bushäuschen.
Dafür sprudelten die Gedanken an die letzten Monate mit jedem Schritt bei mir nach oben. Lange verdrängte Schmerzen und
Hilflosigkeit angesichts der Krebserkrankung unserer Tochter bahnten sich einen
Weg und liefen als Tränen über meine Wangen. Gut, dass es regnete. Und auch
der Mann an meiner Seite schwieg, setzte aber die Schritte schwerer und nachdrücklicher auf den Grund, als es nötig gewesen wäre.
Wir machten Bekanntschaft mit freundlich
wedelnden Hunden, schnatternden Gänsen und Enten und einer Ziege am Wegesrand
und mussten viel öfter als uns lieb war, die Jacken wegen immer wieder
einsetzender leichten Regenfällen an- und ausziehen. Doch dann, kurz nach dem
Miniörtchen Ben, riss endlich der Himmel auf. Es wurde innerhalb einer halben
Stunde warm – sehr warm. Auf einem Felsbrocken, der einladend aussah, machten
wir Rast und vertilgten unsere Butterbrote.
Der Mann an meiner Seite verspürt, als wir weiter liefen, ein
leichtes Ziehen im linken Bein. Mehr in Richtung Fußgelenk. Na, ihm schien wohl die
Pause nicht gut bekommen zu sein.
Wir beschlossen bis Andenne zu laufen und
dort ein Quartier zu suchen. Es hetzte uns keiner. Zudem war es nicht mehr weit, das sollte zu schaffen
sein.
"Waren da schon die ersten Häuser? Ja!"
Wenig später machten wir es uns
in einem kleinen Bistro auf dem Platz vor einem Einkaufszentrum gemütlich und
schauten entspannt dem geschäftigen Treiben zu. Wir wollten nach dem Kaffee zur Touristeninformation gehen und dort nach einer Übernachtungsmöglichkeit fragen. Auf dem Weg
dahin passierten wir wieder Bushaltestellen mit Wartehäuschen, die ich als Foto
für das Kunstprojekt festlegte.
Bei der Touristeninformation war man sehr
hilfsbereit und suchte in einer speziellen Mappe, die man unter dem Tresen
hervorzauberte, nachdem ich unsere Pilgerausweise gezeigt hatte, nach Adressen
von Privatunterkünften für Jacobspilger.
Diese Familien melden sich jedes Jahr beim
Pastor ihrer Gemeinde. Sie stellen ein Bett für den müden Wanderer zur Verfügung. Alle Adressen werden dann in diese Mappe eingetragen.
Wir erhielten drei Adressen. Alle gleich in der
Nähe.
Also liefen zur ersten Adresse, standen vor einem Haus, das gerade renoviert wurde. Von einem der
Bauarbeiter erfuhren wir, es wird zu einem „Pilgerhaus“ umgebaut. Die Besitzer,
ein holländisches Ehepaar, wird hier nach dem Umbau eine Herberge, wie sie in Spanien bekannt ist, errichten.
Gut, das half uns nicht weiter für die
heutige Nacht. Also auf zur zweiten Adresse auf unserem Zettel.
Hier öffnete uns eine reizende Dame, die uns
aufnahm. Liebevoll aufnahm, im Zimmer ihrer Enkel, die gerade gestern in die
Ferien abgereist waren. Gemeinsam bezogen wir die Betten und erfuhren dabei, dass ihr
Schwager bereits drei mal den Jacobsweg gelaufen sei. Sie werde ihn später für ein Treffen mit uns
anrufen.
Nicht mal eine halbe Stunde danach saß er
mit uns gemütlich bei Kaffee und Kuchen im Garten. Wir erfuhren von ihm vieles
über die nächsten Kilometer und die Beweggründe seiner Schwägerin als
„Herbergsmutter“ für uns zu sorgen. Er
selbst arbeitete ehrenamtlich für die „Society de Jacques“ und sorgte für eine
sichere Beschilderung des Weges, nun nachdem er bereits drei Mal den Weg
gelaufen sei, zuletzt vor 5 Jahren. Zudem war er begeistert, dass wir die
Flussroute gewählt hatten. Er riet uns unbedingt darauf zu bleiben. … "Sie ist landschaftlich wunderschön, aber das hätten wir ja bereits selbst feststellen
können"
Derweil sorgte die Frau des Hauses singend in
der Küche für unser Abendessen. Es würde heute ein Pastagericht mit Salzzitronen geben. Sie war schließlich eine
Italienerin, die es durch die Liebe nach Belgien verschlagen hatte.
Nach dem hervorragenden Essen machten wir einen Spaziergang
durch den Ort. Es war so wunderschön hier. Überall üppiger Blumenschmuck und
wegen eines Kunstprojektes waren kleine, sitzende Bären auf den
Mauervorsprüngen der Häuser rund um den Marktplatz aufgestellt worden.
Glücklich saßen wir noch eine Weile am
Marktplatz, bevor wir zur Signora zurückkehrten und wie Steine ins Bett sanken und in einen tiefen Schlaf fielen.
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