Am Gründelbach


Meine Loreley, die Phantasiefigur aus meinem Kochbuch, wohnt als Wasserelfe tief unten im Rhein. 
Das Schloss ihrer Ahnen, heutiges Reich ihres Vaters, liegt verborgen in den Felsspalten zwischen den Riffen, die bis zu 90 m unter der Wasseroberfläche liegen. Er herrscht über alle Elfen und Wasserwesen im Oberen Mittelrheintal. Hier wuchs Loreley auf und verbrachte die ersten 100 Jahre ihres Sagenlebens am Gründelbach.

So war es mein Wunsch, sobald man wieder reisen kann nach dem langen Stillstand und den Einschränkungen durch Corona, werde ich zum Gründelbach fahren.

 

Im August diesen Jahres war es dann endlich soweit. 
Wir reisten an einem schönen Sommermorgen in Richtung Rhein. Schlängelten uns langsam von der Quelle des Gründelbachs durch den Hunsrück hinunter ins Rheintal.
Es war nicht nur eine Reise zu den Orten der Loreley, es war auch eine Reise zu den Orten meiner Kindheit. Orte, die ich gut kannte, die sich aber im Laufe der Jahre sehr stark verändert haben.

Dann standen wir also endlich am dem Ort, den ich für meine Geschichte ausgewählt habe. An der Mündung des Gründelbachs im Ort Gründelbach. Allerding ist das heute ein Ortsteil von St. Goar. Hier ist genau der Platz, der in den Erzählungen meiner Spielkameraden aus Gründelbach schon immer das Schloss des Elfenkönigs beherbergen soll.


Durch die "magische Wiese" aus meiner Geschichte liefen wir hinunter an das Ufer des Rheins. Da störte es mich auch gar nicht, dass man die Mündung des Bachs aus bautechnischen Landschaftsgründen etwas verschmälert und um ca. 50 Meter verlegt hat. Die "magische Wiese" war noch immer für mich magisch und noch immer wild.

 

Erst als wir uns durch dieses steinige Dickicht aus hohem Gras hindurch geschlagen hatten und über tausende von Rheinkieseln gestolpert waren, standen wir am Ufer. Die vorbeifahrenden Schiffe schienen noch immer zum Greifen nahe. An diesem sonnigen Augusttag war der Gründelbach wieder in sein enges Korsett zurück gekehrt. Wenige Tage zuvor war er noch ein reißender Fluss gewesen, der sich mit den Wassermassen der Starkregen, die sich aus den Berghängen nach untern wälzten, in den Rhein ergossen hatte. 


Die große Weide lud uns ein unter ihr zu verweilen, ganz so, wie es die Festgäste zu Ehren Loreleys Rückkehr in meiner Geschichte gemacht hatten. Das Plätschern des Gründelbachs, die Geräusche des Rheins, das Rauschen der Blätter über uns in der Krone des Baums, der Wellenschlag der dahingleitenden Schiffe und der laue, sanfte Wind. Ich ging in Gedanken nochmals die Stellen in meiner Geschichte durch, die hier spielten. Alles war da, alles war real. 
Wäre ich sehr verwundert, wenn sich plötzlich Loreley zwischen den Bäumen zeigen würde?

 

Ich lief ganz nach vorne zum Saum, der die Grenze zwischen Land, Bach und Fluss bildete und schaute hinüber zum Felsen am anderen Ufer. Ahnte, da man sie nicht sehen kann, die Riffe und Untiefen, die vielen Schiffern zum Verhängnis geworden waren. Dabei sah hier doch alles so friedlich aus.
Es wurde Zeit, wir mussten uns lösen und langsam Loreleys Spuren weiter hinauf zum Felsen folgen.

Aber zuerst gönnten wir uns, den Spuren der Rheinromantik folgend, den Blick William Turners, den er vom Ufer aus, nur weniger Meter vom Gründelbach entfernt, auf den Felsen eingenommen hatte. Seine vielen Bilder und Gemälde der Loreley sind noch immer sehr populär. 


Es war ein weiterer magischer Moment, zu wissen, dass er hier, genau an diesem Punkt seine Staffelei aufgestellt hatte und auf seinen Leinwänden den Loreleyfelsen verewigte. 
Es würde mich sehr interessieren, ob ihn der Hauch Loreleys, so wenige Schritte von ihrem Schloss entfernt, gestreift hat.

Bevor es dann hinüber zur anderen Rheinseite ging, meldete sich energisch der nicht mehr kleine Hunger. Wir gönnten uns etwas Leckeres, eine erfrischende "Äppelwoi Wonne". Es musste einfach sein.

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