1800 km Französisch


Eine Gruppe sehr dicker Amerikaner, angehende Finanzmanager und zum Zwecke der Studie des Europäischen Marktes in Maastricht, stürmte am Morgen das große Frühstücksbüfett und futterte es in wenigen Augenblicken ratzekahl leer. Auch der fleißig herangetragene Nachschlag war sofort wieder in den Kehlen dieser Gruppe verschwunden. 
Selbst Familien mit Kindern wurde von diesen Rüpeln einfach zur Seite geschoben. Sich selbst überschätzend und wichtig nehmend waren diese Amerikaner der Meinung zuerst an der Reihe zu sein, sollten die restlichen Gäste doch sehen wo sie blieben.
Ich war erschrocken angesichts dieser Maßlosigkeit. 

Dieselbe Gruppe war uns bereits am letzten Abend während der Übertragung des Fußballspieles sehr unangenehm aufgefallen. Sie störten lautstark die Übertragung des EM-Spieles – es handelte sich ja nur um „Sokker“. Aber da hatten wir noch vermutet, unsere Müdigkeit ließe unsere Wahrnehmung im Stich. 
Nun, zu dieser frühen Stunde und bei strahlendem Sonnenschein, gelangten wir zu der Einsicht, dass sich hier und mit dieser Gruppe eine Völkerverständigung überhaupt nicht lohnen würde. Der Satz "Amerika First" wurde von dieser Meute gnadenlos ausgelebt.
Ich war sehr froh, dass ich sie hinter mir lassen konnte.

 

Bevor wir aber losliefen, war eine Bestandsaufnahme der Kondition des Mannes an meiner Seite und seinem Fuß angesagt.
Er wollte unbedingt weiter: „... und wenn ich auf allen Vieren über die Niederländisch / Belgische Grenze kriechen muss. Der Fuß wird es aushalten.“
Unsere Absprache war, dass wir an diesem Tag sehr langsam laufen und dazu große Pausen einlegen würden. Wer wollte, konnte diese Etappe einen längeren Spaziergang nennen und so tauften wir diesen Abschnitt: Genießeretappe!
Ein letzter Blick auf unsere Schlafstätte und los ging es.

 

Die Strecke, die an diesem Tag vor uns lag, las sich in unserm Wanderbüchlein sehr vielversprechend.
Gleich hinter der futuristischen Zitronenpresse, offiziell Bonnefantenmuseum, liegt der Landtag des Teilstaates = Provincie Limburg. Die Limburger, die hier bereits einen deutlichen französischen Einschlag haben, nennen es das Gouvernement
Dieses Gebäude ist teilweise an das Ufer der Maas gebaut, teilweise liegt es auf einer Insel in der Maas. Viele kleine Brücken, Überwege und Galerien verbinden die einzelnen Trakte miteinander. Der Jacobsweg führt direkt unter einigen Teilen am Ufer der Maas entlang.



In den Auen gleich dahinter graste friedlich eine Herde der wilden Koningspaarde. Die Vögel sangen für uns, die Luft war erfüllt vom schweren Duft des blühenden Yasmins.

Dass die Saison bereits begonnen hatte, merkten wir an den gut gefüllten Campingplätzen, die an diesem Abschnitt das Ufer der Maas säumen.
Vom anderen Ufer grüßte uns der Pietersberg, der Endpunkt der Parallelstrecke "Pieterspad". Ob die beiden Damen wohl angekommen waren?

 

Wir waren, ganz wie geplant, langsam unterwegs, machten viele kleine Pausen und fielen unter all den Urlaubern, die das Land per Fahrrad oder zu Fuß erkundeten, gar nicht auf. Es blieb beim einfachen Grüßen. Gespräche wie bisher auf der Strecke wollten sich nicht ergeben. Für die anderen Urlauber waren wir einfach nur schlendernde Alte in der Sommerfrische, die bei den immer höher ansteigenden Temperaturen die Landschaft der Maas im Grenzgebiet genossen.


In Eijsden fanden wir auf dem in der gleißenden Mittagssonne liegenden Marktplatz eine Bäckerei und einen Supermarkt. Wir nutzten die günstige Gelegenheit und stellten hier unser Picknick zusammen, das wir uns anschließend auf einer Bank schmecken ließen.

Zur Untermalung unseres Mahls las mir der Mann an meiner Seite aus dem Wanderbuch vor und so wussten wir, dass Eijsden die südlichste Gemeinde der Niederlande ist, der letzte deutsche Kaiser hier am Bahnhof Fuß auf Niederländischen Boden setzte und Zuflucht fand. Des weiteren erfuhren wir, dass das Kasteel Eijsden besichtigungswürdig sei. Zudem würden wir in ein oder zwei Kilometern die Grenze zum französisch sprechenden Teil Belgiens überschreiten.

 

Gefüllt mit diesen Informationen und den guten Dingen unseres Picknicks trotteten wir weiter, fanden auch das wirklich wunderschöne Kasteel Eijsden, das wir voller Begeisterung ausgiebig besichtigten.



Zwei Stunden später und wenige Meter dahinter entdeckten wir dann den geschichtsträchtigen kleinen Grenzstein. Die ersten 120 km waren geschafft. 
Gleichzeitig betraten wir Wallonischen Boden. Was bedeutete, vor uns lagen nun weitere 125 km, immer an der Maas entlang, bis zur Französischen Grenze in Heer-Argimont. 
Ab hier und für die nächsten 1800 km würden wir uns nur noch auf Französisch unterhalten. 

Das inzwischen vertraute blaue EU-Zeichen des Jacobsweges tauschten wir in eine rot-orangefarbene Muschel auf weißem Grund um. Sie würde uns durch Belgien begleiten. 


 

Und, wir nahmen Abschied vom Wanderführer "Jacobsweg, zwischen Rhein und Maas, Teil 3" der genau bis zu diesem Punkt so wundervoll unseren Weg beschrieb.
Ab hier erwartete uns die Maasroute zur "Via Mosana" in Jupille-sur-Meuse. 
Es wurde Zeit, ein neues Wanderbuch aus dem Rucksack zu holen. "Belgien: Jacobsweg; Via Mosana: Aachen - Bruly"

   

Der erste Ort rechtsseitig der Maas in Belgien ist Visé, die nördlichste Stadt der Wallonie. Hier ist auch der sogenannte Ardennenbruch der Maas. Ab hier verengt sich das bisher breite Tal der Maas, die Hänge der Ardennen rücken näher.

Es war genug für diesen Tag, der Fuß mahnte uns, man sollte es nicht übertreiben. Schließlich stand bereits auf unserem Kilometerzähler 16,2 km und der Fuß war dick angeschwollen. 
Wir suchten uns einen Schlafplatz und fanden den in Hallembaye, ein kleiner Ort auf der anderen Seite der Maas, gleich über die Brücke von Visé, am Albert Kanal gelegen. 
Diese Übernachtungsadresse galt als DER Geheimtipp unter den Pilgern.


Dass dieses Prädikat gerechtfertigt war, merkten wir gleich bei der Ankunft. 
Ein liebes älteres Ehepaar begrüßte uns wie alte Freunde. Sie hatten zwei ihrer Räume zu Gästezimmern, besser Mini-Appartements, ausgebaut und eines für uns bereits hergerichtet.
Aber zuerst mussten wir Kaffee trinken, dazu gab eine wundervolle selbst gebackene Tarte au Citron: „...sie müssen doch müde sein!“ Danach eine kleine belgische Spezialität "Vieille Pomme" zur Stärkung, die eindeutig hochprozentiges enthielt. 
Es wurde von uns erwartet, als Gegenleistung für die Köstlichkeiten, dass wir das Ziel der Reise erläuterten. Und diese Frage bezog sich nicht auf den Ort, der war klar, sondern auf das Warum.
Madame verglich unser Ziel mit denen der anderen Pilger, die sie bereits zu Gast hatte und war von unserer Neugierde auf die regionale Küche sehr angetan. 
Monsieur, ein Künstler, war von den Bushäuschen-Fotos für mein Kunstprojekt "Unterwegs" total begeistert. Er erklärte mir, wo ich am nächsten Morgen ein wichtiges Bushäuschen der Linie von Maastricht kommend nach Lüttich-Guillemins finden würde. "Es liegt genau auf Ihrer Route, gleich oben vor der Brücke über den Albert Kanal".
Der dritte Gast dieses Tages, ein Franzose aus Nimes und im EU-Austausch, wollte sich das Kunstprojekt und unsere erste Etappe auf dem Jacobsweg später noch auf seinem Laptop zusammen mit Monsieur ansehen. 
Aus der Perspektive der Bushäuschen hatten sie die Welt und den Jacobsweg noch nie betrachtet. Sie waren deutlich fasziniert.


Wir hätten stundenlang so weiter reden können, aber leider waren wir dazu viel zu müde. Wir zogen uns in unser „Appartement“ zurück und waren sehr, sehr glücklich.
Diese beiden Menschen bereiteten ihren Gästen wirklich einen Ruheplatz – mit Familienanschluss. Dankbar fielen wir in den Schlaf.

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