Der erste Tag


Einen Rucksack für ein solches Unternehmen zu packen ist ganz anders als die Koffer, die ich ansonsten für meine vielen Reisen zusammenstelle.
Alles musste viel kompakter, viel konzentrierter sein. So dauerte es auch gut eine Stunde - rein, raus, doch rein, weiß noch nicht, viel zu schwer, kann durch das ersetzt werden - bis die wenigen Dinge, die ich auf die erste Etappe mitnehmen wollte, auch verstaut waren. Immer im Hinterkopf, nur maximal 15 % des eigenen Gewichtes und davon auch noch 2 kg abziehen beim Gepäck des Mannes an meiner Seite, wegen seiner schweren Herzerkrankung.

Dabei war es schön zu fühlen, wie sich mein Kopf leerte, im Gegenrhythmus zum Einpacken, wie ich Dinge, die gerade noch wichtig waren hinter mir ließ. 
Kein: "Denke dran, das muss noch eingepackt werden" oder "ach, dass nehmen wir auch mit, ist noch Platz." 
Nein, nur das Notwendigste im Gepäck, genau wie bei den Gedanken in diesem Augenblick. 
Ab sofort hatte nur noch der einzelne Schritt im Jetzt eine Bedeutung.  
Irgendwie kribbelig fiel ich ins Bett. 

Früh aus den Federn, gemütlich Frühstücken und dann...
Man geht los, voller Ungewissheit.
Man hofft, dass es gut geht, dass es so wird, wie man es sich in all den Jahren vorgestellt hatte.
Der große Augenblick.

 

Der Morgen war klar, nicht zu kalt und die Maas war, nach den Tagen des Hochwassers, schon wieder ein gutes Stück zurück in ihrem Bett. Ein leises Ahnen des herannahenden Frühlings lag in der Luft. Erneuerung verkündeten die zwitschernden Vögel. 
Eine große Gruppe Wanderer, ein anderes Ziel ansteuernd, hatte sich ebenfalls auf den Weg gemacht und kam uns entgegen. Wir grüßten uns interessiert, freudig. Wir waren also heute Morgen nicht die Einzigen, die zu ihrer Reise aufbrachen.


Ich fühlte, dass nach den ersten 6 km die Anspannung bei uns nachließ. Unsere Schritte wurden fester, der Rucksack unbedeutend.
Das Klosterdorf Steijl wollte ausgiebig entdeckt werden. Überall Mini-Kapellen am Wegrand, in einigen brannte ein Kerze. Am Ausgang des Dorfes fanden wir dann überall die Zeichen für den Jacobsweg. Die Jacobsmuschel begleitete uns ... 


... immer die Maas an unserer Seite, bis hinaus nach Belfeld. Hier machten wir zum ersten Mal Rast. Eine Tasse Kaffee, so fanden wir, wäre nun eine gute Idee.  Und als hätten wir es so bestellt, hieß das Cafe am Wegesrand passend „Den Herberg“. 


Das Besitzerehepaar, Puck und Maril Bergs, waren von unserem Vornehmen ganz fasziniert und so entwickelte sich ein wundervolles Gespräch über das Leben und die eigenen Lebens-Träume. Denn sie hatten sich mit diesem Restaurant und den beiden Gästezimmern auch einen Traum erfüllt, der vorab jahrelang in ihnen geschlummert hatte. Maril erzählte, dass sie jeden Tag beim Vorbeiradeln auf dem Weg zu ihrem damaligen Arbeitsplatz immer daran erinnert wurde, genau wie ich beim Erblicken der Jacobszeichen am Wegrand.

 

Es wäre ein wundervoller Ort für unsere erste Übernachtung, aber wir hatten uns vorgenommen, weitere Kilometer zu laufen und so schulterten wir die Rucksäcke und verabschiedeten uns fast schon wie Freunde.
Zur Unterstützung für die nächsten Kilometer gab es aber noch einen selbst angesetzten "Mandarinen-Granatapfel-Likör", inclusive des Rezeptes zur Selbstherstellung. Und natürlich das Versprechen, bei der Ankunft in Santiago, wann immer das sein wird, wird für die "Herbergseltern" eine Kerze entzündet.


Über Reuver, hier wurden auf einer Bank mit Blick auf die Maas unsere Lunchboxen geplündert, folgten wir dem Fluss weiter, immer stromaufwärts.
Wiesen, kleine Wäldchen, eine Gruppe Esel auf der Weide die ausgiebig beschmust werden wollten, eine Hecke über die man irgendwie klettern musste, die ersten Wiesenblumen - unser Weg war also sehr überraschend. Überall gab es etwas zu entdecken. Wir trafen auf Menschen, die ihren Garten für das Frühjahr vorbereiteten und uns in wundervolle Gespräche verwickelten. 
Gut, dass wir abgesprochen hatten, auf gar keinen Fall auf die zurückgelegten Kilometer zu schielen und dass wir uns täglich ab 15:00 Uhr nach einer Übernachtungsmöglichkeit umsehen. Denn wir wollten die Strecke nicht "vorbuchen". Wir wollten es dem Zufall überlassen, wo wir unser Haupt betten würden. 

Später erreichten wir Beesel, wichen von der Route ab und liefen quer durch das Dorf. Hier am Marktplatz tranken wir gemütlich auf den herausgestellten Stühlen einer kleinen Bäckerei einen Kaffee und beschlossen unseren heutigen Tagesmarsch zu beenden. Laut unserem Wanderführer "Jacobspad - tussen Rijn en Maas" sollte sich hier ein B&B am Rande des Ortes befinden.

 
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Die Füße voller Blasen, die Beine schwer, die Schultern leicht wund, aber das Herz voller Glück. Der erste Tag lag hinter uns, die ersten 20 Kilometer hatten wir überraschenderweise auch geschafft. 

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